Antwort von Herrn Christian Wolff auf den Brief des Kollegen Winfried Gödert

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

auch die weiteren Einlassungen wie etwa von Herrn Gödert zum wahrgenommenen oder vermuteten Niedergang der Informationswissenschaft schaffen aus meiner Sicht kaum Klarheit. So richtig manche Einzelbeobachtung sein mag, so deutlich tritt aus meiner Sicht doch auch zutage, dass kaum einer der Beitragenden sich argumentativ aus der engen Fokussierung auf die Geschichte des IuD-Programms in Deutschland lösen kann. So verständlich dies aus der jeweiligen biografischen Situation heraus sein mag, so wenig zielführend ist es im Ergebnis. Ich will damit keinesfalls einer Abwendung vom Thema Fachinformation das Wort reden, sondern eher dazu beitragen, das thematische Spektrum der Informationswissenschaft konstruktiv zu erweitern. Mit anderen Worten: natürlich werden auch in Zukunft Themen wie Informationserschließung, Information Retrieval, Suche in hochspezialisierten Fachinformationsbeständen oder Fragen der Informationsaufbereitung zum engeren fachlichen Kern der Informationswissenschaft gehören.

Eine zukunftsorientierte Informationswissenschaft darf aber aus meiner Sicht nicht im Korsett der professionellen Fachinformation verharren. Die Ausweitung informationswissenschaftlicher Forschungsfelder insbesondere im Kontext der Informationsverhaltensforschung wird hier in aller Regel nicht beachtet. Hier liegt aus meiner Sicht ein Handlungsraum, der gerade auch in der Auseinandersetzung mit der vermeintlich so erfolgreichen Informatik von besonderer Bedeutung ist. Damit verbunden sind auch vielfältige interessante Forschungsfragen, wie etwa der von Diane Nahl schon vor einigen Jahren postulierte affective turn in den Wissenschaften oder die in philosophischer ebenso wie in psychologischer oder ökonomischer Hinsicht interessante Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Menschen als rationalem oder nicht-rationalem Akteur.

Was die Informationswissenschaft ebenfalls offensiv aufgreifen sollte, ist das Thema Digitalisierung und digitale Gesellschaft. Letztlich ist das nichts anderes als ein weiteres Synonym zum bereits älteren Begriff der Informationsgesellschaft, und ganz sicher wird man sagen können, dass etwa die traditionelle Kerninformatik mit ihrer sehr viel technischeren Ausrichtung nicht in der Lage sein wird, dieses Thema alleine wissenschaftlich durchdringen zu können (dass sie es für sich reklamiert, mag dabei natürlich nicht verwundern).

Ein anderer Aspekt, der nicht wirklich beachtet wird (und ich spreche hier erkennbar pro domo) sind die unverkennbaren Erfolge und Beiträge der Informationswissenschaft im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion. Es gibt eine ganze Reihe ausgebildeter Informationswissenschaftler (wie ich selbst auch), die dazu beigetragen haben das Fach Medieninformatik in Deutschland zu etablieren. Dies ist etwas, was sich die Informationswissenschaft durchaus offensiv zurechnen sollte.

Vielleicht sollten wir auch davon absehen, informationswissenschaftliche Identität nur ganz unmittelbar über entsprechend lautende Denominationen oder gar den genealogischen Aspekt wissenschaftlicher Biografien feststellen zu wollen. Mit anderen Worten: wir sollten zum Beispiel Medieninformatiker wie Michael Granitzer in Passau oder Klaus Tochtermann in Hamburg und Kiel ebenso unserer Community zurechnen bzw. sie dafür zu gewinnen, wie wir das bei Norbert Fuhr immer schon getan haben.

Was mir in der derzeitigen Debatte ebenfalls fehlt, ist eine nüchterne Zustandsermittlung für die Situation der Informationswissenschaft. Ich bin mir nicht sicher, ob sich der so intensiv diskutierte Niedergang (“ wer macht das Licht aus“) tatsächlich der Realität entspricht. Dies lässt sich aus meiner Sicht weder mit den Vorgängen in Düsseldorf noch mit denen in Köln tatsächlich belegen. Im Gegenteil habe ich den Eindruck, dass wir eher Schwankungen auf zugegebenermaßen insgesamt niedrigen Niveau oder einer niedrigen Ausbaustufe beobachten. Ich würde sogar fast vermuten, dass es derzeit eher mehr Studierende in informationswissenschaftlichen Studiengängen in Deutschland gibt, als dies vor fünf, zehn oder 15 Jahren der Fall gewesen sein mag. Leider habe ich dafür keine konkreteren Zahlen zur Hand. Gleiches wäre für die Anzahl der Professuren zu untersuchen, wo man in mittelfristiger Perspektive sowohl Zugänge als auch Abgänge beobachten kann.

Herzliche Grüße
Christian Wolff

Prof. Dr. Christian Wolff
Lehrstuhl für Medieninformatik
Institut für Information und Medien,
Sprache und Kultur (I:IMSK)
Universität Regensburg
93040 Regensburg

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