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Forschungseinblicke: Der Kern bzw. die Identität der Informationswissenschaft

In der Reihe Forschungseinblicke möchten wir regelmäßig aktuelle Publikationen und Forschungsprojekte der deutschsprachigen Informationswissenschaft vorstellen. Weitere Beiträge der Reihe finden Sie auf der entsprechenden Kategorieseite

 

Deutsche Zusammenfassung des Artikels:

Petras, V. (2024). The identity of information science. Journal of Documentation, 80(3), 579-596. https://doi.org/10.1108/JD-04-2023-0074

von Vivien Petras

 

Was macht die Informationswissenschaft eigentlich aus und wodurch unterscheidet sie sich von anderen Disziplinen? Der Versuch, die Informationswissenschaft zu definieren, entstand aus dem Wunsch, die Disziplin zu definieren, ohne Vergleiche mit anderen Disziplinen zu ziehen (z.B. „im Vergleich zur Informatik ist die Informationswissenschaft“). Dabei ging es darum, den Kern der Disziplin zu bestimmen, also das, was unsere Identität als Fachgebiet ausmacht und uns im Kanon der Wissenschaften einzigartig verortet. Diese Selbstreflexion und Prüfung des Selbstverständnisses sollte regelmäßig erfolgen, um die Relevanz des Fachgebiets in einer dynamischen Forschungslandschaft zu sichern.

Der Kern bzw. der zentrale Forschungsgegenstand der Informationswissenschaft sind alle Aspekte der Frage, wie Information über Raum und Zeit manifestiert wird. Manifestierte Information umfasst alle Formen von Information, die außerhalb des menschlichen Denkens existieren – physisch oder digital, analog oder multimedial –, und die dokumentiert, überliefert und über Raum und Zeit hinweg zugänglich gemacht wird.

Die Informationswissenschaft untersucht, wie Information manifestiert wird. Ziel ist es, die Darstellung, den Zugriff, die Dokumentation und die Bewahrung von Ideen, Aktivitäten oder Praktiken zu unterstützen sowie unterschiedliche Arten von Interaktionen zwischen Menschen und anderen Akteuren (z.B. Softwareagenten) zu ermöglichen. Die Manifestation von Information über Raum und Zeit sowie über verschiedene Menschen, Institutionen und Kulturen bildet ein Fundament gesellschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Kontinuität. Akteure – Menschen, Organisationen, aber auch Softwaresysteme – treten dabei als Erzeuger, Vermittler und Nutzer von manifestierten Informationen im Fokus der Betrachtung. Infrastrukturen und Praktiken sind entscheidend, um die Persistenz von Information über Raum und Zeit und über einzelne Personengruppen hinweg zu gewährleisten.

Im Kern beschäftigt sich die Informationswissenschaft mit vier Aspekten der Forschung, Analyse und des Designs von:

  • Formen manifestierter Information, z.B. Geschichte des Buches, Buchillustrationen, Entwicklung digitaler Speichermedien, Formate des Informationsaustauschs
  • Infrastrukturen für das Management und den Austausch von manifestierten Informationen, aufgeteilt in:
    • Institutionen, z.B. Gedächtnisinstitutionen (Bibliotheken, Archive, Museen), Records- und Wissensmanagement, Soziale Medien, persönliche Informationsräume
    • Technologien, z.B. Suchsysteme, Bibliotheksmanagementsysteme, Systeme für das persönliche Informationsmanagement, Soziale Medienplattformen, KI-Systeme, Geräte (z.B. Computer, tragbare Geräte)
  • Praktiken und Prozesse im Umgang mit Information und den zugehörigen Infrastrukturen, z.B. Informationsorganisation, -beschreibung, -zugang, -verwaltung, -veröffentlichung und -archivierung, alle Phänomene der Informationsinteraktion und des Informationsverhaltens, Informationskompetenz, Informationsüberflutung, Fehlinformation, die dynamischen Rollen und Funktionen von Institutionen und Infrastrukturen (z.B. die Bibliothek als dritter Ort) sowie kritische und reflexive Praktiken
  • Meta-, kulturelle und gesellschaftliche Informationspraktiken und -prozesse, z.B. Daten- und Informationslebenszyklen, Netzwerke, Wissens- und Gedächtniskonstruktion in Gruppen und Kulturen, Szientometrie, Bibliometrie, Open Access, Open Science, Informationsethik, -politik und -governance.

Die Erforschung dieser Phänomene ist durch eine methodische Vielfalt und theoretische Offenheit gekennzeichnet – quantitative, qualitative, historische, experimentelle und Designforschungsansätze werden in der Informationswissenschaft gleichermaßen angewandt. Diese Vielfalt zeigt nicht Beliebigkeit, sondern spiegelt die Vielschichtigkeit des Forschungsgegenstands.

Nichtsdestotrotz argumentiere ich, dass die Informationswissenschaft nicht per se interdisziplinär ist. Forschungsfragen um Informationsphänomene erfordern oft interdisziplinäre Ansätze, zugleich aber eben auch die spezifisch informationswissenschaftliche Perspektive auf das Phänomen der manifestierten Information. Interdisziplinarität ist zwar notwendig, um komplexe Probleme zu lösen, aber sie kann kein Fundament der eigenen Identität sein.

Die Informationswissenschaft hat in der Konzentration auf die Erforschung der Manifestation von Information über Raum und Zeit einen stabilen, über die Jahrzehnte konsistenten Kern, gleichwohl passt sie sich ständig an neue Formen, Technologien und gesellschaftliche Herausforderungen an, denn auch die Infrastrukturen und Praktiken um manifestierte Information verändern sich. Das ist kein Widerspruch, sondern verleiht der Disziplin eine eigenständige Identität, die über gesellschaftliche und technologische Veränderungen hinweg persistent bleibt.

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Forschungseinblicke: Das GEDIS Projekt

In der Reihe Forschungseinblicke möchten wir regelmäßig aktuelle Publikationen und Forschungsprojekte der deutschsprachigen Informationswissenschaft vorstellen. Weitere Beiträge der Reihe finden Sie auf der entsprechenden Kategorieseite

 

GEDIS-Projekt: Förderung der Geschlechtervielfalt in der Hochschulbildung

Das GEDIS-Projekt (Gender Diversity in Information Science: Challenges in Higher Education) verfolgte das Ziel die Vermittlung und das Verständnis von Fragestellungen rund um Geschlechter und Diversität im Bereich der Bibliotheks- und Informationswissenschaften zu verbessern. Das Projekt wird durch die Erasmus+ Key Action 2: Cooperation Partnerships in Higher Education im Zeitraum von Dezember 2024 bis November 2027 gefördert.

Das Projekt wird an der Universität Barcelona koordiniert. Aus der deutschsprachigen Informationswissenschaft sind die Universität Hildesheim sowie die Fachhochschule Kärnten beteiligt. Weitere Projektpartner sind die Universität Osijek, Universität Zadar, Universität Sarajevo und die Silesian University in Opava.

 

Projektziele

Das GEDIS-Projekt verfolgt zwei Hauptziele:

  1. Verständnis der Integration von Geschlechtervielfalt in die Ausbildung der Bibliotheks- und Informationswissenschaft in sieben verschiedenen Ländern. Dazu gehört die Analyse der Perspektiven von Studierenden, Lehrenden und Bibliothekar*innen zu diesem Thema.
  2. Entwicklung nützlicher Werkzeuge und Ressourcen, um Geschlechtervielfalt in die Hochschullehre besser zu integrieren. Diese Werkzeuge sollen das Lernen inklusiver und gerechter machen.

Um diese Ziele zu erreichen, verfolgt das Projekt folgende spezifische Maßnahmen:

  • Analyse bestehender Curricula, um den Fokus auf Geschlechtervielfalt zu bewerten.
  • Befragung von Studierenden, Lehrenden und Bibliothekar*innen zu ihren Erfahrungen mit Geschlechtervielfalt in der Hochschulbildung.
  • Identifizierung bewährter Lehrmethoden, die bereits Geschlechtervielfalt berücksichtigen.
  • Entwicklung von drei Toolkits mit Lernmaterialien für Studierende, Lehrende und Bibliothekar*innen. Diese enthalten Beispiele, Fallstudien und Aktivitäten, um ein besseres Verständnis für Geschlechtervielfalt zu fördern.

Das Projekt wird Berichte, Schulungen, Forschungsartikel und Bildungswerkzeuge erstellen. Diese Ressourcen werden unter einer offenen Lizenz online frei zugänglich sein, sodass sie von allen genutzt und angepasst werden können.

 

Relevanz des GEDIS Projekts

Geschlechterungleichheit bleibt in vielen Bereichen ein erhebliches Problem, darunter in der Kulturindustrie und im Informationssektor. Frauen und Minderheiten stoßen oft auf Hindernisse für ihre vollständige Teilhabe und Anerkennung. Hochschulen können dazu beitragen, diese Herausforderungen zu bewältigen, indem sie Studierende dafür sensibilisieren und dazu ermutigen, diskriminierende Strukturen zu hinterfragen.

Das GEDIS-Projekt baut auf dem Erfolg einer kleineren Initiative namens GENDIMS auf, die 2021 an der Universität Barcelona ins Leben gerufen wurde. GENDIMS zeigte, dass die Integration einer Geschlechterperspektive in Lehrpläne die Bildungsqualität verbessern kann. GEDIS erweitert diese Idee nun auf weitere Länder und schafft ein Netzwerk von Hochschulen, die gemeinsam die Geschlechtervielfalt fördern.

Durch die Förderung interdisziplinärer und internationaler Zusammenarbeit trägt GEDIS zum Aufbau eines gerechteren und inklusiveren Hochschulsystems bei. Es unterstützt die Entwicklung fairer Lehrpraktiken und bereitet Studierende darauf vor, eine gerechtere Gesellschaft zu gestalten.

 

Weitere Informationen und Ressourcen zum Projekt

Projektwebseite mit weiteren Informationen zum Projekt: https://www.ub.edu/gedis/de/

Im Zuge des Projekts entwickelte OER: https://zenodo.org/communities/gedis/records?q=&l=list&p=1&s=10&sort=newest

 

Beitrag von Stefan Dreisiebner

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